Flugmedizinische Untersuchung
Flieger unterlagen in der DDR jederzeit strengen medizinischen Kontrollen. Gesundheit und körperliche Leistungsfähigkeit standen stets an oberster Stelle; schon geringe Abstriche führten gnadenlos zu einer zeitweiligen oder andauernden Fluguntauglichkeit. Die umfassende, planmäßige Überprüfung auf Flugtauglichkeit stand für alle Piloten in jedem Jahr aufs Neue an. Die Tauglichkeit wurde von der Flugmedizinischen Kommission (FMK) im Flugbuch bestätigt und war unbedingte Voraussetzung für die Teilnahme an den Flugdiensten.
Die NVA betrieb für ihre Zwecke in Königsbrück ein eigenes Institut für Luftfahrtmedizin (ILM). Dieser Ort in der Nähe von Dresden wurde so für jeden Flieger zu einem ständigen Begleiter in seiner Laufbahn. Nicht jeder hat ihn in guter Erinnerung behalten, machte doch die Kommission so manchem der gesundheitlichen Voraussetzungen wegen einen Strich durch die eigenen Pläne.
Die Abkürzung „FMK“ wurde im Flieger-Sprachgebrauch generell für die Untersuchung in Königsbrück verwendet, obwohl dies nicht immer grammatikalisch korrekt war. Offenbar war es einfacher, FMK als Flugmedizinische Kontrolle zu interpretieren. In diesem Sinne wird die Abkürzung auch in den nachfolgenden Beschreibungen verwendet.
Erstuntersuchung vor der NVA-Dienstzeit
Für Offiziersbewerber der Laufbahn Militärflieger begann der ernsthafte Schritt in das Leben eines NVA-Piloten mit der ersten FMK. Nahezu 2 Jahre vor dem geplanten Studienbeginn erfolgte die Erstuntersuchung in Königsbrück. In diesem ersten, 5tägigen Besuch standen umfassende medizinische Untersuchungen auf der Tagesordnung. Als angehender Flieger, bis dahin schon aktiv im Segelflug und bereits entsprechend von älteren Kameraden umfassend mit beängstigenden Informationen versorgt, war man auf diese erste Untersuchung innerlich vorbereitet. Immerhin hing unser Fliegertraum vom erfolgreichen Absolvieren dieser Untersuchung ab!
Mich ereilte die Aufforderung zur FMK im Alter von 17 Jahren. Als frischgebackener Schüler der 11.Klasse fuhr ich gemeinsam mit einigen Kameraden, die ich schon aus den zurückliegenden Jahren der Segelfliegerei in Alkersleben kannte, an einem herbstlichen Sonntagnachmittag nach Königsbrück, wohin uns das offizielle Schreiben der NVA beordert hatte. Die Reichsbahn entließ uns am uns damals noch unbekannten Bahnhof. Zunächst nahmen wir die grobe Orientierung auf: das Institut liegt am Ortsrand und bescherte uns damit einen halbstündigen Fußmarsch. Aber warum sollte es hier anders sein als bei anderen militärischen Dienststellen…? Vom Gelände des ILM aus konnte man schon den Truppenübungsplatz in der Nähe erspähen, über den dann und wann sogar ein paar rotbesternte Mi-24 huschten - ein für uns verständlicherweise zumeist imponierender Anblick.
Unsere erste Aufregung in Königsbrück betäubten wir in der marktplatznah gelegenen Gaststätte Schwarzer Adler (lieblos "Toter Vogel" genannt), an der unser Fußweg unweigerlich vorbeiführte. Obwohl Bier angesichts der am nächsten Tage folgenden Gesundheitstests natürlich nicht zu den empfehlenswertesten Mitteln zählte, ließ sich trotzdem so mancher zu einem solchen hinreißen. Zu befohlener Zeit dann die Ankunft unserer Gruppe im ILM. Die Gebäude des ILM versteckten sich im Wald; ein seit Dutzenden Jahren gewachsener Baumbestand tarnte sie hervorragend und tauchte alles mehr in das Licht eines Sanatoriums - wenn auch nur äußerlich. Eine wunderschöne Anlage aus den 50er Jahren. Schade nur, dass für uns zukünftige Flieger so viel vom Bestehen der Tests abhing. Ein Auge für die Umgebung konnten wir zumeist nicht erübrigen.
Der erste Eindruck des Unterkunftsgebäudes ernüchterte uns verwöhnte GST-Flieger. Die muffige Holzbaracke, die uns für die nächsten 5 Tage als Unterkunft dienen sollte, schien noch aus den Gründertagen des Instituts zu stammen und seinerzeit eilends zusammengezimmert worden zu sein. Ein 12-Mann-Schlafsaal nahm uns auf. Wenn er uns auch nicht mehr als eine Übernachtungsmöglichkeit bieten sollte, so erschien uns der Aufenthalt darin selbst ohne die anstehenden Untersuchungen nur wenig erbaulich. Erst in den Jahren nach 1986 wurden im ILM schrittweise Neubauten geschaffen, in denen wir als Offiziersschüler etwas wohnlicher untergebracht waren.
Begleitet wurde unser erster Besuch in Königsbrück von Offizieren der LSK/LV bzw. der OHS in Kamenz; sie übernahmen die Aufsicht über uns FMK-Anfänger. Zudem führten sie außerhalb unserer medizinischen Untersuchungszeiten Einzelgespräche mit uns Bewerbern, in denen sie (selbstverständlich) unsere Motivation zu erfahren versuchten und uns den unbedingten Willen zum Offizierwerden abrangen – auch wenn sich heute oder morgen oder irgendwann der Fliegerwunsch auf Grund gesundheitlicher Einschränkungen als nicht realisierbar erwies. Vielen sind an dieser Stelle die mehr oder weniger in Fleisch und Blut übergegangenen Floskeln über die Lippen gekommen, die unsere jugendliche Sorge um das militärische Behütetsein des sozialistischen Vaterlandes zum Ausdruck brachten.
Jedoch nicht Flieger zu werden, sondern als Panzerkommandeur, Funkmessspezialist oder Mot.Schütze 25 Jahre in der NVA zu dienen, war trotz unserer gegenteiligen Bekenntnisse an dieser Stelle nur schwer vorstellbar. Unser ganzes bisheriges Leben hatten wir darauf ausgerichtet, dereinst die Welt von oben zu sehen und den Himmel zu durchpflügen. Viele der hier in Königsbrück als Flieger ausgemusterten Bewerber entschieden sich später auch gegen eine Offizierslaufbahn, wie sie den Offizieren des heimischen Wehrkreiskommandos vorschwebte. Mancher überwand sich jedoch zu einem Studium in der Fachrichtung FID (Fliegeringenieurdienst), denn so hatte man wenigstens irgend etwas mit dem Fliegen zu tun – wenngleich man sich dort als Techniker „nur“ am Boden um das Funktionieren der Flugzeuge und Hubschrauber kümmerte.
Die Tage waren nahezu vollständig ausgefüllt mit zahllosen medizinischen Untersuchungen. Jeder Bewerber erhielt täglich einen Laufzettel, der an diesem Tage abgearbeitet werden musste. Die einzelnen Tests wurden in einem Zeitfenster angesetzt, so dass wir uns in der großen Gruppe recht gut aufteilen und die Untersuchungen zu unterschiedlichen Zeiten ohne großes Warten absolvieren konnten.
In unserer ersten FMK wurden die Untersuchungen extrem umfassend durchgeführt. An Ende eines jeden Tages gab es eine Auswertung über die Ergebnisse der Tests. Jeder hoffte, dass er nicht unter denen war, die heute nicht die medizinischen Anforderungen erfüllt hatten. Diejenigen konnten sofort oder am nächsten Morgen abreisen.
Für jeden, der in Königsbrück durchfiel, brach eine Welt zusammen. Nicht selten begleiteten Tränen den letzen Weg unserer Kameraden, mit denen wir oft schon Jahre durch die Segelfliegerei gegangen waren. Für jeden, der hier die Untersuchungen über sich ergehen ließ, zählte nur das Fliegen, das nun als Beruf nicht mehr möglich war.
Für mich selbst ging die erste FMK positiv aus. Das Bewerberleben verlief nun in den vorherbestimmten Bahnen: die Motorflugausbildung bei der GST begann. In den verbleibenden eineinhalb Jahren erlernten wir ausschließlich während der Schulferien (in denen unsere Klassenkameraden irgendwo auf der sprichwörtlichen faulen Haut lagen) Grundsätze der Motorfliegerei, um beim Antritt des Studiums schon etwa 70 Stunden vorweisen zu können.
Kurz vor dem Abitur ereilte uns eine zweite FMK. Alle wesentlichen Punkte werden noch einmal in dem Umfang geprüft, wie dies auch später bei jedem Flieger alljährlich getan wird.
„Irgendwie“ gelangten die Ärzte bei den Augentests zur Sehschärfe jedoch an die Grenzen meiner Fähigkeiten. Zahllose Gläser bekam ich vor die Augen gehalten, bis die Kringel an der Tafel scharf, unscharf oder nur aus bestimmten Winkeln erkennbar waren – genau sagen, was jetzt getestet wurde, konnte ich ohnehin nicht mehr. Seufzer des medizinischen Personals begleiteten die Untersuchung. Wenn ich schon selbst nichts mehr sah, wie konnte ich dann noch Pilot werden? Zwar kam ich noch irgendwie an die 100% der Sehtüchtigkeit, aber angesichts von 125%, die hier viele wohl als nahezu normal in die Waagschale warfen, kam ich mir schon halb blind vor. Zitternd erwartete ich die allabendliche Auswertung, die mich wohl mit kurzem Prozess nach Hause schicken würde.
Ich war nicht dabei!
Offensichtlich meinte es die Kommission gut mit mir. Eine völlige Absage hatte ich nicht bekommen. Trotzdem hegte ich nur noch geringe Hoffnungen auf einen „echten“ Fliegerberuf. Fliegergott, Lass mich wenigstens Navigator werden!
Die konkreten Ergebnisse erfuhren wir natürlich nicht sofort; lediglich das Nicht-Durchfallen war uns bereits nach dem letzten bestandenen Test gewiss. Ich ging in Anbetracht meiner Augen stets von einer Tauglichkeit als Steuermann der Besatzung aus, was die geringste Stufe der gesundheitlichen Anforderungen darstellte.
Mit diesem Bewusstsein führte ich auch die Motorflugausbildung in Jahnsdorf zu Ende und bereitete mich auf die Einberufung im August 1986 nach Bautzen vor. Selbstverständlich galt die Motorflugausbildung in der GST ausschließlich der Vorbereitung auf die uns von höheren Stellen zugedachte Laufbahn in der NVA, und so konnte ich meinem Fluglehrer vermehrte Streckenflüge und navigatorische Aufgaben anstelle des höheren Kunstfluges abringen.
Dass es doch anders kommen sollte, erfuhr ich erst am Tage meiner offiziellen Studienzulassung zum Ende der 12.Klasse, im Mai 1986. Trotz der Bedenken, die ich selbst hatte, wurde ich als Flieger tauglich befunden - wenngleich auch nicht als Jagdflieger, was das große Ziel der meisten Flugbegeisterten war. Auf dem Zulassungsbogen fand ich in großen Lettern den Einberufungsort: B-R-A-N-D-E-N-B-U-R-G! Innerlich führte ich einen Freudenschrei aus, jetzt gab es für mich eine Laufbahn als aktiver Flieger - als Hubschrauberführer! Nur mein Jahnsdorfer Motorfluglehrer druckste nach dieser Botschaft etwas unwillig herum, musste ich doch nun im 2wöchigen Abschlusslehrgang im Juli 1986 einigermaßen auf den identischen Ausbildungsstand wie alle anderen Flieger kommen - inklusive höherem Kunstflug.
Traurig war ich über die mir aufgezwungene Entscheidung zu dem damals in meinen und unseren Augen „niederen“ Fliegerberuf nicht. Selbst wenn ein Jagdflieger als der echte Held galt - die körperlichen Anstrengungen, die einem Jagdflieger abgerungen werden, sind um etliches größer als ich sie bereits während des höheren Kunstfluges auf der Z-42 kennen gelernt hatte; und selbst hier fiel es mir manchmal schon schwer, bei allen Figuren einen klaren Kopf zu behalten und trotz der an meinem Leib zerrenden gs jegliches aufkommendes Unwohlsein zu unterdrücken. So war ich in der Jahnsdorfer Fliegerschule doch immer froh, meine Kunstflugstunde geschafft zu haben – aber als Jadflugzeugführer wartete dergleichen mehr auf mich. Und dabei sollten wir noch die Augen im Himmel haben und nach unseren Gegnern Ausschau halten, das Fliegen selbst gewissermaßen zur Nebensache werden lassen? Als Hubschrauberführer standen mir weniger körperlich anstrengende Flüge bevor.
Untersuchungsschwerpunkte
- Urinproben. Der hinreichend bekannte „Mittelstrahl“ war im Becher zu platzieren.
- Blutuntersuchungen
- Allgemeine Untersuchungen: Bewegungsapparat, Lunge, HNO, Innere Medizin
- Ab Alter 40 Jahren war m.W. auch eine Darmuntersuchung obligatorisch.
- Umfangreiche HNO-Untersuchungen. In Hörtests wurde die Empfindlichkeit bei jeder Frequenz und Lautstärke geprüft.
- Sehr umfangreiche Augentests. Neben den psychologischen Tests stellten sie die umfangreichsten Untersuchungen dar.
- Sehschärfe bis über 100% mit den bekannten Zahlentafeln. Zum Teil wurde dem Auge Mehrarbeit „aufgebürdet“, indem noch Brillengläser vorgesetzt wurden.
- Farbenerkennung
- Gesichtskreisbestimmung
- Adaptionsfähigkeit bei Hell-Dunkel-Wechsel
- Räumliches Sehen, mit Bildern und Spezialbrillen bestimmt
- Augenuntersuchungen mit diversen medizinisch-optischen Geräten. Zum Teil wurden dabei Augentropfen verabreicht, die für den Rest des Tages ein Sehen auf eine Entfernung von weniger als 2m absolut unmöglich, da unscharf, machten
- Nystagmuskontrolle
- Psychologische Tests. Diese Tests wurden des Umfangs wegen auf mehrere Tage verteilt. Selbstredend wurden die meisten der Tests unter Zeitdruck durchgeführt…
- Räumliches Vorstellungsvermögen: alle möglichen „Würfeltests“ (welcher Würfel wird hier in einer anderen Lage dargestellt?), Zählen von Rechts- und Linkskurven in willkürlichen Schlangenlinien
- Kombinationsvermögen bei Sachaufgaben: welche Begriffe gehören zusammen, welcher fällt aus der Reihe? So manches Wort hörte man hier in seinem Leben zum ersten Mal.
- Rechnen ohne Ende: Aufgaben in der Art:
(1) 7+8=
(2) 6+2=
Wenn das erste Ergebnis größer war als das zweite, wurde das zweite subtrahiert. War es kleiner, wurde addiert. Das Gesamtergebnis wurde notiert. - Mathematische Geschicklichkeit. Kombinationsaufgaben, Fortsetzung von Reihen und Folgen (war zufällig gerade in der 11.Klasse in Mathematik behandelt worden…)
- Tests mit Leuchttafeln; Vor uns standen 3 Leuchttafeln (links, Mitte rechts) mit jeweils 9 Lampen und sekündlich wechselnden Mustern. Zeigte einer der Tafeln in irgendeiner Form ein Viereck von leuchtenden Lampen, war ein Knopf zu drücken.
- Rechentests an einer Art Mini-Computer, ähnlich wie die oben beschriebenen Aufgaben
- Einzelgespräche mit Psychologen
- EKG-Untersuchungen mit und ohne körperliche Belastung
- Drehstuhl (Vestibularisuntersuchung)
Auf dem elektrisch angetriebenen Drehstuhl hatten wir 5 Minuten lang Platz zu nehmen und uns mit geschlossenen(!) Augen drehen zu lassen. Auf ein akustisches Zeichen alle 2 Sekunden war der Kopf zu neigen, immer abwechselnd links-rechts. Der Test war normalerweise nicht sehr anstrengend, jedoch wurde einem von der Dreherei ab und an schon einmal schlecht. „Grundgesetz“: seine Übelkeit nicht in diesem Raum zeigen. Außerhalb des Gebäudes bekam es keiner mit… - In Verbindung mit dem Drehstuhl wurde ebenfalls vereinzelt der oben genannte Nystagmus-Test gemacht. Hierbei wird die Reaktion des Auges („Nachdrehen“) bei wechselnder Drehrichtung gemessen. Für diesen Test ist am ILM eine Spezialbrille entwickelt worden, welche die Augenbewegung mit Infrarot-Lichtreflexen vermaß.
- Sporttest.
Test Für den geübten Schul- und GST-Sportler stellte er kein ernsthaftes Problem da, ging es doch mehr um Koordination, Mut und Fähigkeiten als um Höchstleistung. 3000m-Lauf, Barren, Pferd, einige andere Gleichgewichtsübungen wie Kniebeugen mit wechselndem Drehen beim Aufstehen.
- Unterdruckkammer.
Ein Unterdruckkammer-Test wurde in allen Jahren zumeist am letzten Tage durchgeführt. Hatte man es bis hierhin geschafft, war nur noch diese letzte Hürde zur medizinischen Zulassung als Flieger zu überwinden.
In der U-Kammer wurde ein Luftdruck simuliert, der 5000m Höhe entspricht. Dieser Test wurde auch später während der aktiven Zeit als Hubschrauberführer durchgeführt. Manches Mal fragten wir uns, wie ein HSF wohl auf 5000m Höhe kommen sollte? Was genau wollte man so prüfen? In der Tat ist die U-Kammer die einzige Möglichkeit, den Kreislauf unter Bedingungen des Sauerstoffmangels zu testen.
Nach dem Start sank der Luftdruck rapide. Die Steiggeschwindigkeit lag wohl bei einigen Dutzend m/s. Für erfahrene (Segel)flieger kein Problem. Der Druck auf den Ohren glich sich nach jeweils 400m mit einem vernehmlichen Knacken selber aus… Unangenehm war uns stets, dass sich die im Körper vorhandene Luft auf jeden Fall ihren Weg aus diesem hinaus suchte – das jedoch war in diesem Falle ganz natürlich und ließ sich kaum unterdrücken. Insofern mussten alle Prüflinge mit diesem Umstand leben.
Die Höhe von 5000m wurde einige Zeit gehalten; der gesamte Vorgang einschließlich Steigen und abschließender „Landung“ dauerte in etwa eine halbe Stunde. Während dieser Haltezeit hatten wir eigentlich gar nichts zu tun, außer auf unseren Körper aufzupassen. Die Luft wurde mächtig dünn, mangels Betätigung (und damit ohnehin langsam arbeitendem Kreislauf) mussten wir tiiiief Luft holen, um bei klarem Verstand zu bleiben. Wurde man hier ohnmächtig, was ich selbst schon bei einem Kameraden miterlebte, war der Test nicht bestanden und die Fliegerlaufbahn in aller Regel unerreichbar geworden. Natürlich gab es keine ernsthafte Gefährdung der Insassen, da jedermann mit entsprechenden EKG-Elektroden versehen war und unter ständiger Kontrolle stand. Ebenso gab es für die Notfälle eine Sauerstoffmaske, die dem Ohnmächtigen sofort an die Nase gehalten werden konnte und ihn unter die Lebenden zurückholte.
Nach der geplanten Haltezeit in 5km sausten wir mit ungefähr 20m/s abwärts, was uns erheblich mehr Schwierigkeiten beim Druckausgleich bescherte als das Steigen. Die Hand an der Nase waren wir eifrig beim Schlucken, anders als in einem Urlaubsflieger gab es jedoch keine Bonbons für uns.
Bereits während unseres ersten Besuches im Jahre 1985 wurden in Königsbrück umfangreiche Arbeiten zum Bau einer neuen Zentrifuge durchgeführt. Später sprach man von ihr als der leistungsfähigsten Humanzentrifuge der Warschauer Vertragsstaaten. Dass mit dem Bau der neuen Zentrifuge eine Firma aus Österreich beauftragt werden musste, war uns angehenden Offiziersschülern unverständlich. Hätte das nicht auch ein einheimischer Betrieb tun können? Da nun schon in einem NVA-Objekt eine Firma aus dem Westen arbeitete, durfte es zumindest keine militärischen Bezugspunkte im Institut geben. Alle anwesenden Personen wurden nur mit „Genosse“ und Name angesprochen. Jegliche Nennung von Dienstgraden war verboten. Eine Diskussion über militärische und damit im Zusammenhang stehende Themen war nicht erlaubt. Gleichermaßen galt für jedermann auf dem Gelände Zivilkleidungs“vorschrift“. Zwar bewegte sich jeder zu untersuchende „Delinquent“ ohnehin im NVA-Trainingsanzug und das medizinische Personal (trotz seiner großenteils militärischen Dienstgrade) im gewohnten weißen Kittel, aber zumindest für alle anderen anwesenden Offiziere war es ungewöhnlich. Dem Klassenfeind wurde keine Chance zur Spionage gegeben!
Die Zentrifuge wurde erst im Jahre 1988 fertig gestellt und dient bis heute der Bundeswehr als moderates Mittel für Belastungstests der Jagdflieger.
Jährliche Untersuchungen
Die Gültigkeit der FMK betrug jeweils 1 Jahr. Damit musste jedes Jahr aufs Neue die Prozedur in Königsbrück absolviert werden, wenngleich sie nicht mehr so umfangreich durchgeführt wurde wie unser aller erster Test. Normalerweise wurden alle anstehenden Untersuchungen nun in 3 Tagen durchgeführt. Tests der diversen Körperflüssigkeiten. EKG, EEG. Hören. Umfangreiche Augenuntersuchungen, psychologische Tests in kleinerem Rahmen, Zähne. Ab und an Sport und irgendwie unvermeidlich - die Unterdruckkammer.
Im Jahre 1987 wurde im ILM ein neues Unterkunftsgebäude fertig gestellt, das den Fliegern ein angenehmeres Umfeld bot als die uns aus Bewerberzeiten bekannte Holzbaracke. Mit 4 Mann im Zimmer kam man doch prima aus… In der NVA-Zeit gewannen wir in Königsbrück regelrecht den Eindruck eines „Flieger-Kommunismus“: hier wurde alles für uns getan. Prima Verpflegung (so änderten sich die Maßstäbe: zu GST-Zeiten hatten wir nur abfällig die Nase über die Verhältnisse im ILM gerümpft!), keine Dienstbelastung. Außer den medizinischen Untersuchungen hatten wir tatsächlich nichts zu tun! Da sich 1987 noch immer die Österreicher am Bau der Zentrifuge schafften, war auch für uns Offiziersschüler des 1.Studienjahres die Anreise in Zivilkleidung befohlen. Völlig ungewohnt durften wir uns so in Zivilkleidung aus dem Brandenburger Objekt bewegen. Die Welt lag uns zu Füßen! An unserem Anreisetag (Ostersonntag!) mussten wir uns um 18.00 im Objekt melden. Der AvD (Arzt vom Dienst) nahm uns in Empfang. Er hakte die Offiziersschüler auf seinem Papier ab und schickte uns in die Quartiere. Doch was nun mit dem angebrochenen Abend anfangen? Dank der Zivilkleidung und gewonnener Erfahrung im Umgang mit militärischen Objekten nahmen wir uns die Freiheit, an diesem Abend eine Disco im Ort zu besuchen. Natürlich war dies illegal; so mussten wir uns unbemerkt aus dem Objekt schleichen. Das reichlich bewaldete Gelände bot einen unsichtbaren und an manchen Stellen durchlässigen Zaun, den wir uns zunutze machten. Die nächtliche Heimkehr geschah auf umgekehrtem Wege. Aus unserer Sicht hätte unser Ausflug wohl kaum einem Diensthabenden im ILM entgehen können, waren doch die Unterkünfte großenteils verwaist. Tatsächlich bekam es jedoch niemand mit – oder wollte es niemand? Die am nächsten Tage eingesammelten Urinproben wurden großenteils für unbrauchbar erklärt; die meisten mussten am darauf folgenden Tage noch einmal einen Becher mit dem bekannten „Mittelstrahl“ füllen. Ob das an den abendlich genossenen Getränken lag?
Nach erfolgreichem Absolvieren der Untersuchungen konnten wir zurück nach Brandenburg in unsere Dienststelle fahren. In aller Regel hatten wir nun Gewissheit, für ein weiteres Jahr flugtauglich zu sein. Die Zulassung im Flugbuch folgte in wenigen Tagen, sie wurde in unserer Dienststelle in Auswertung der Untersuchungsergebnisse eingetragen und bestätigt.
Allerdings ergaben sich insbesondere in unserer ersten Untersuchung als Offiziersschüler (die 1987 unmittelbar vor dem Begin der fliegerischen Ausbildung durchgeführt wurde), dass der eine oder andere zwar keine ernsthaften Gebrechen, aber dennoch temporäre Unzulänglichkeiten hatte. Häufiges Problem waren die Zähne; so kam es wohl in jedem Jahrgang vor, das eines Offiziersschülers Zähne noch „saniert“ werden mussten, bevor in ein einen Hubschrauber klettern durfte. Erfahrungsgemäß gingen so einige Wochen ins Land, in denen der Offiziersschüler am Boden stand und die Flieger von dort aus beobachten musste. Immerhin hatte er die Sicherheit, nachdem sein Gebiss in Ordnung war und er seine endlosen Dienste (z.B. DHQ) hinter sich gebracht hatte, selber an den Steuerknüppel rücken und alle versäumten Flüge nachholen zu dürfen.
Das ILM war eine Einrichtung zur Diagnose und Behandlung fliegerspezifischer Probleme. Im Laufe meiner Ausbildung erlebte ich die über die FMK hinausgehende Arbeit am eigenen Leibe, denn es taten sich bei mir im 3.Studienjahr während des Nachtfluges Probleme mit dem Blutdruck auf. Freilich waren dies gewissermaßen „erschwerte“ Bedingungen, mussten wir doch bei hochsommerlichen Temperaturen am späten Nachmittag zur medizinischen Kontrolle vor dem Flug wie üblich unseren Blutdruck bestimmen lassen. Ab und an bewegte sich mein Blutdruck über der gesetzten Grenze von 150/90. An diesen Tagen wurde ich vom Flugdienst gesperrt. Irgendwann, als der hohe Blutdruck regelmäßig hintereinander auftrat und auch bei einer zweiten Kontrolle auf dem Flugplatz nicht geringer war, wurde ich für eine eingehende stationäre Untersuchung in das ILM nach Königsbrück geschickt. Im Laufe einer Woche wurde ich wieder von Grund auf auseinander genommen, einschließlich aller möglichen Untersuchungen der Blutwerte, der körperlichen Leistungsfähigkeit auf dem Fahrradergometer und einer Ultraschalluntersuchung des Herzens – was zu der Zeit insbesondere mit der erlebten westlichen(!) Technik eine Besonderheit darstellte, die nicht an jeder Klinik in der DDR möglich war. (Allein die Beschreibung der Medizintechnik trieb meiner Frau, damals in ihrer Ausbildung zur Krankenschwester, neidvolle Freudentränen in die Augen). Alle Untersuchungen konnten keine organische Ursache zu Tage fördern. Mit der Diagnose „Weißkittel-Hypertonie“, mit der man ganz einfach die Aufregung und den hohen Blutdruck vor dem anwesenden Arzt beschreibt, wurde ich wieder nach Brandenburg entlassen und konnte fortan auch in diesem Grenzbereich fliegen. Ohne diese magische Grenze jedoch verschwand jedoch auch mein Bluthochdruck irgendwann, brauchte ich doch auch keine Aufregung mehr an den Tag zu legen.
Während der Untersuchungswoche jedoch erlebte ich zum ersten Mal den Stationsablauf in Königsbrück: er war ganz und gar nicht vergleichbar mit dem Ablauf in anderen Krankenhäusern. Meist ging es mehr um die Abklärung von Problemen denn um eine Behandlung von schweren Krankheiten - dafür gab es die „richtigen“ Lazarette wie Bad Saarow. So litten auch die auf der Station Dienst tuenden Schwestern regelmäßig an fachlicher Unterforderung; mehr als Fieber- und Blutdruckmessen sowie Entgegennahme von Urinproben blieb ihnen nur selten zu tun. Im Grunde passten sie nur auf ihre Patienten auf. Die Schwestern des ILM hatten ihren Dienst in zwei Schwerpunkte zu teilen: tagsüber assistierten sie den Ärzten bei den normalen Untersuchungen zur FMK, darüber hinaus nahmen sie ihren Schichtdienst auf Station war.
Da die stationär „eingelagerten“ Flieger kaum eine ernsthafte Krankheit aufwiesen, langweilten auch sie sich mächtig. Voller Tatendrang waren sie, aber nun an das Bett gefesselt. Einige Tage lang ließ man sich das gefallen, war doch die Erholung vom Truppenleben oftmals sehr angenehm. Irgendwann jedoch fiel auch dem faulsten aller Patienten die Decke auf den Kopf. Miterleben durfte ich einen Fallschirmspringer, der nun schon mehrere Wochen im ILM zubrachte: er flehte die Schwestern an, ihm wenigstens das tägliche Wischen des Zimmers zu erlauben, nur um eine Abwechslung zu haben.
Untauglichkeit
Nicht immer ging die Entscheidung der FMK im Sinne des Piloten aus. Während der aktiven Flieger-Zeit wurden bei einigen Offiziersschülern (und auch Offizieren) gesundheitliche Mängel festgestellt, die ein Weiterfliegen gar nicht mehr erlaubten. Schwierigkeiten mit den Augen, Probleme mit dem Bewegungsapparat (z.B. wird die Wirbelsäule auf Grund der beständigen Vibrationen in Mitleidenschaft gezogen) oder andere, organische Ursachen führten regelmäßig zu einer Fluguntauglichkeit. Zwar versuchten die Mediziner in Königsbrück ihr Möglichstes, um hinter die Ursachen zu blicken und sie zu beseitigen. Generell nahmen alle Ärzte in Königsbrück großen Anteil an unseren Schicksalen; eine Fliegerlaufbahn wurde in Königsbrück nicht einfach auf Grund eines mittelfristig lösbaren Gesundheitsproblems beendet.
Jedoch konnte nicht in jedem Falle geholfen werden. Auch wenn bei Hubschrauberführern oder Navigatoren zumindest in späteren Jahren eine klitzekleine Brille akzeptiert wurde: häufig gab es keine Chance, dem Ausstieg aus der Fliegerei zu begegnen. Ärgerlich waren solche Ereignisse vor allem für uns Anfänger. Da wir am Anfang der militärischen Ausbildung standen und in aller Regel erst sehr wenig Dienstzeit vorweisen konnten, stand vor uns immer das Problem des weiteren Dienstes im Falle einer Untauglichkeit. Immerhin hatten wir uns ja für eine 25-jährige Dienstzeit verpflichtet… Die Verfahren zur Feststellung einer endgültigen fliegerischen Untauglichkeit zogen sich jedoch meistenteils monatelang hin. Zu aller erst war dies eine Entscheidung der FMK. Militärische Vorgesetzte aller Ebenen bis hin zum Kommando der LSK/LV befanden nun über die weitere Verwendung des Offiziersschülers. Offizier einer anderen Waffengattung zu werden und 25 Jahre Dienst zu tun hätte für den Offiziersschüler bedeutet, am Beginn eines völlig neuen Studiums zu stehen. Nahezu niemand wollte jedoch ein zweites 1.Studienjahr auf sich nehmen, hieß es doch, neuerlich ein Leben mit allen Entbehrungen und Anstrengungen, die er schon einmal erlebt hatte, zu beginnen. So trug es sich in der Praxis häufig zu, dass der Betreffende ohne größere Probleme seinen Dienst quittieren und ein ziviles Studium oder eine andere Arbeit aufnehmen konnte. Ganz selbstverständlich wurde in einem solchen Fall das Ableisten einer zumindest 3jährigen Wehrdienstzeit vorausgesetzt, wie es bei unseren studierenden zivilen Altersgefährten auch getan wurde. Immerhin wurde bei den untauglich gewordenen die bisherige Dienstzeit auf der OHS angerechnet.
So stand für die in den ersten 3 Dienstjahren untauglich gewordenen Offiziersschüler das Problem: wie weiter mit dem Dienst? Fliegen konnten sie nicht, also mussten andere Möglichkeiten gefunden werden. Zunächst waren sie häufig für alle möglichen Tagesdienste auserkoren, wenn ihnen schon keine Ausbildungsaufgabe mehr oblag. Die Zeit zehrte an den Nerven der Betroffenen.
War die Fluguntauglichkeit und das Ende als Offiziersschüler (endlich) offiziell, fand sich für sie oftmals eine wenig aufreibende Dienststellung, auch wenn sie nicht immer in der Ausbildungsstaffel abgeleistet werden konnte. Üblicherweise stand mit der Aufgabe des Offiziersschüler-Status als angehender Hubschrauberführer auch ein Wechsel der Einheit an. Auf diese Art wurde die 3jährige Dienstzeit als Offiziersschüler oder Unteroffizier auf Zeit (UaZ) „voll gemacht“, um sodann normal aus der NVA entlassen zu werden. Schließlich waren sie mit einer Fluguntauglichkeit schon genug gestraft…
Im normalen Leben stellten die in Königsbrück bemerkten Probleme in der Regel keine ernsthafte Einschränkung dar. Einem „normalen“ Arzt wäre an dieser Stelle vielleicht nicht einmal etwas aufgefallen.
Unbestritten gab es auch Offiziersschüler, denen eine Fluguntauglichkeit gelegen kam. Viel Mühe gaben sich die einen, um ihren Lebenstraum Flieger verwirklicht zu sehen – andere nutzen den Weg der Fluguntauglichkeit, um möglichst unkompliziert wieder aus der NVA auszuscheiden. Eine Entscheidung, nun nicht mehr Offizier werden zu wollen, trafen die Offiziersschüler aus den unterschiedlichsten persönlichen Beweggründen. Der übliche Weg, das 25jährige Dienstverhältnis aufzulösen, war das E-Gesuch (Entlassungsgesuch) - mit großem Aufwand und zahlreichen persönlichen Unannehmlichkeiten für den Betreffenden verbunden. Einen besseren Weg als eine Fluguntauglichkeit konnte es nicht geben, umging man doch die bürokratischen Hürden und persönlichen Nachteile des E-Gesuchs.
„Hilfreich“ war, dass nicht jedes körperliche Gebrechen, das zur Fluguntauglichkeit führte, völlig objektiv geprüft werden konnte. In Königsbrück musste man den Aussagen und Leiden der angehenden Flieger Glauben schenken. Nicht immer kamen bei Magengeschwüren, permanenten Kopfschmerzen, Kreislaufproblemen und ähnlichen diffusen Erscheinungen greifbare Untersuchungsergebnisse ans Tageslicht, die eine effiziente Behandlung erlaubt hätten. Zogen sich solche Erscheinungen trotz stationärer Behandlung in Königsbrück über lange Monate hin, wurde dem einen oder anderen von militärisch vorgesetzter Stelle schon einmal ein Simulieren unterstellt. In den endlosen Gesprächen von Offizieren aller Ebenen, angefangen beim Kettenkommandeur, mit dem Offiziersschüler sollte Klarheit in den Vorgang gebracht werden. Zweifellos waren die Offiziere in dieser Hinsicht nicht auf den Kopf gefallen und wussten innerlich um die Ambitionen des einzelnen Offiziersschülers. Allerdings ließ sich nur selten der Verdacht des Simulierens nachweisen – und selbst wenn, was hätte man mit dem Offiziersschüler tun sollen? Er hatte keine Lust mehr, Flieger in der NVA zu werden und hätte somit seine Aufgabe ohnehin nur halbherzig erfüllt. Er wäre nicht der Pilot geworden, den die NVA brauchte. So war es besser, man entließ ihn aus der NVA. In Anbetracht einer solchen Erkenntnis trug wohl mancher Kettenkommandeur eher im Ritual zu der Unterredung mit dem Offiziersschüler bei und akzeptierte für sich den Sachverhalt der Untauglichkeit.
Mit etwas Geschick wurde der Offiziersschüler völlig normal aus der Armee entlassen und konnte einem Leben als Zivilist nachgehen.